Essen vermag nicht nur den Hunger zu stillen, es kann auch tröstlich oder als Belohnung wirken. Es dient also sowohl der körperlichen als auch der seelischen Bedürfnisbefriedigung des Einzelnen. Im sozialen Leben nimmt das Essen ebenfalls eine wichtige Rolle ein, da es Bestandteil von Zusammenkünften, Austausch und Kommunikation ist. Zum „normalen Essen“ – dessen Definition auch kultur- und gesellschaftsabhängig ist – gehören ein gesunder Appetit und unbeschwertes Genießen.
Körperliche Grunderkrankungen und zeitweilige Belastungen können dieses „normale Essen“ stören – der Mensch isst weniger und nimmt ab. Auch willentliche Einschränkungen beim Essen, beispielsweise bei einer Diät, können zur Gewichtsreduktion führen. Eine solche bewusst herbeigeführte Gewichtsabnahme wird bei übergewichtigen Menschen, deren Körpergewicht ein medizinisches Problem darstellt, angestrebt. Aber auch viele normalgewichtige Menschen wollen ihr Gewicht kontrollieren und reduzieren – aus kosmetischen Gründen und weil sie sich zu dick fühlen.
Es gibt darüber hinaus aber auch Menschen, bei denen die Gewichtsreduktion ein extremes Ausmaß annimmt und die eine Essstörung, die Anorexia Nervosa entwickeln: Die Betroffenen – meist sind es junge Frauen – sind gedanklich ständig mit ihrem Körpergewicht und den Möglichkeiten, dieses zu reduzieren, beschäftigt. Essen ist fortan mit Schuld- und Schamgefühlen verbunden und die Betroffenen haben große Angst vor einer Gewichtszunahme oder davor, trotz bestehenden Untergewichts, dick zu sein.
Erscheinungsbild der Anorexia Nervosa
Kernaussage
Das Kernmerkmal der Anorexia Nervosa ist ein selbst herbeigeführter Gewichtsverlust. Das Körpergewicht liegt mindestens 15 Prozent unter dem zu erwartenden Gewicht, bei Betroffenen in der Vorpubertät kann eine altersentsprechende Gewichtszunahme ausbleiben.
Das extreme Untergewicht basiert auf der Weigerung, ein minimales normales Körpergewicht (↑ BMI < 17,5 kg/m2) zu halten. Charakteristisch für die Anorexia Nervosa ist auch, dass das angestrebte Körpergewicht nicht nur unterhalb der medizinischen Norm liegt, sondern bei ständiger Gewichtsabnahme immer noch weiter heruntergesetzt wird. Das heißt, die Angst vor einer Gewichtszunahme oder davor, dick zu sein, bleibt trotz fortschreitender Abmagerung bestehen.
Ein weiteres Merkmal der Anorexia Nervosa besteht in der ständigen gedanklichen Beschäftigung mit dem Thema Essen. Typische Gedanken sind dabei : „Wie viele Kalorien habe ich jetzt zu mir genommen?“, „Wie kann ich noch mehr Kalorien einsparen?“. Die Zubereitung und Beschaffenheit von Nahrungsmitteln hat eine große Bedeutung für die Betroffenen. Besonders zucker- und fetthaltige Lebensmittel werden vermieden; mit der Zeit werden nur noch ganz bestimmte Esswaren verzehrt (rigide Esskontrolle), Auswahl und Menge von Nahrungsmitteln sind stark eingeschränkt. Darüber hinaus vermeiden anorektische Patienten häufig gemeinsame Mahlzeiten mit anderen.
Trotz bestehenden Untergewichts betonen die Betroffenen meist, sich leistungsfähig und fit zu fühlen. Solange wie möglich wird versucht, überdurchschnittliche Leistungen zu erbringen, sei es in Beruf, Studium oder Schule. Hingegen nehmen die sozialen Kontakte ab und reduzieren sich häufig auf wenige Kontaktpersonen. Als längerfristige körperliche Folgen des extremen Untergewichts entwickeln sich typischerweise ↑ Amenorrhoe, Herzrhythmusstörungen, Unruhe, Frieren.
Ein Teil der anorektischen Patienten verliert allein durch eine stark reduzierte Nahrungsaufnahme – oft in Verbindung mit deutlich gesteigerter körperlicher Aktivität – an Körpergewicht („restriktiver Typ“ der Anorexia Nervosa; siehe dazu auch die Diagnosekriterien im Abschnitt „Klassifikation und Diagnostik“). Ein anderer Teil der Betroffenen greift zu weiteren gewichtsreduzierenden Maßnahmen wie Einnahme von Abführmitteln und selbst herbeigeführtes Erbrechen. Letzteres geschieht |11◄ ►12|
oft im Anschluss an einen Essanfall („Binge-Eating/Purging“-Typ der Anorexia Nervosa; siehe auch dazu die Diagnosekriterien).
Fallbeispiel: Etablierung anorektischen Verhaltens bei einer 17-jährigen jungen Frau
„Angefangen hat alles mit dem Wunsch, ein paar Kilo an Gewicht zu reduzieren (Ausgangs-BMI: 22), um meiner Vorstellung eines idealen Körpers näher zu kommen. Mittels Diäthalten gelang es mir in relativ kurzer Zeit mein ursprüngliches Zielgewicht zu erreichen. Trotz der erfolgreichen Gewichtsreduktion fühlte ich mich aber im Umgang mit anderen Menschen nach wie vor unsicher, und verhielt mich eher zurückhaltend und scheu und war der Meinung, dass ich mit weniger Körpergewicht erfolgreicher und sicherer im Umgang mit anderen würde. Gleichzeitig erlebte ich jedoch mit der Veränderung meines Essverhaltens und der daraus resultierenden Gewichtsabnahme ein Gefühl der Kontrolle, das für mich immer mehr zum Beweis wurde, wie effektiv und einflussreich ich sein kann. Die kontinuierliche Einschränkung der Nahrungszufuhr und das Aushalten des Hungers wurde zu einer immer zentraleren Aufgabe, die ich – analog zu meinen Schulleistungen – erfolgreich bewältigen wollte. Je länger ich mich darum bemühte, desto mehr kreisten meine Gedanken ums Essen. Keine „Mahlzeit“ ohne langes vorheriges Abwägen, ob ich jetzt tatsächlich essen muss oder nicht noch warten sollte, ob ich nicht noch weniger essen könnte, was ich an diesem Tag schon gegessen habe usw. Genau so dominant wurden die Gedanken darum, wie ich die zugeführte Energie auch möglichst effizient und rasch wieder abbauen könnte. Dazu diente tägliches Joggen, im Minimum 1,5 Stunden, wenn immer möglich mehr. Obwohl ich mein Gewicht bis auf einen BMI von 16,5 reduzierte, war ich nach wie vor der Meinung, zu dick zu sein und sehr unzufrieden mit meinem Körper. Das über einen längeren Zeitraum hinweg sehr eingeschränkte Essverhalten (ich aß praktisch nur noch Gemüse, Früchte und Salat, möglichst fettfrei zubereitet) kippte plötzlich in phasenweise anfallsartiges Essen: innert kurzer Zeit aß ich – vorausgesetzt ich war alleine zu Hause – eine Unmenge all jener Nahrungsmittel, die ich mir seit längerer Zeit verboten hatte zu essen. Nach einem solchen Essanfall bemühte ich mich wiederum noch verstärkt, das Essen einzuschränken. Meine sozialen Kontakte habe ich über kurz oder lang auf ein Minimum reduziert: Ich habe vermieden, mich mit anderen zum Essen zu treffen; zu Hause habe ich versucht, wann immer möglich, nicht mit der Familie essen zu müssen, |12◄ ►13|
und habe mir dafür immer wieder neue Ausreden oder Begründungen für mein geringes Essen ausgedacht; aufgrund meines hohen Einsatzes für die Schule und das tägliche Joggen blieb mir auch gar nicht mehr viel Zeit für Verabredungen. Mit der Zeit interessierte ich mich auch gar nicht mehr dafür, etwas zu unternehmen oder etwas zu machen, was mir vor einem Jahr noch Freude bereitet hatte. Körperlich traten nebst Erschöpfung weitere Veränderungen ein, wie das Ausbleiben der Menstruation, ständiges Frieren, trockene Haut.“
Epidemiologie und Komorbidität
Wie häufig tritt die Anorexia Nervosa auf?
Hinsichtlich der ↑ Epidemiologie der Anorexia Nervosa lassen sich folgende Aussagen treffen: Die ↑ Prävalenzrate der Anorexia Nervosa bei jungen Frauen im Alter zwischen vierzehn und zwanzig Jahren schwankt zwischen 0 und 0,9% und beträgt im Durchschnitt 0,3%.Die ↑ Inzidenzrate der Anorexia Nervosa umfasst acht Neuerkrankungen pro Jahr bezogen auf 100 000 Einwohner (Hoek 2006). Die Prävalenz der Anorexia Nervosa ist seit den 1970er Jahren stabil, stieg in den Jahrzehnten davor jedoch stetig an. Damit tritt die Anorexia Nervosa deutlich weniger häufig auf als die Bulimia Nervosa (Kapitel 2) und die Binge Eating Disorder (Kapitel 3).
Kernaussage
Die Anorexia Nervosa tritt in ihrer ↑ klinisch relevanten Ausprägung relativ selten auf. Hingegen sind entsprechende einzelne Symptome eines gestörten Essverhaltens in der Bevölkerung relativ häufig. Zu diesen Symptomen gehören beispielsweise rigides oder gezügeltes Essverhalten, Unzufriedenheit mit Figur und Gewicht, das Durchführen von Diäten. Auch sie sind wiederum vor allem unter jungen Frauen in der ↑ Adoleszenz verbreitet (Hoek/van Hoeken 2003).
Wer erkrankt an der Anorexia Nervosa?
Die höchsten Inzidenzraten der Anorexia Nervosa treten bei jungen Frauen im Alter zwischen fünfzehn und neunzehn Jahren auf. Aus dieser|13◄ ►14|
Altersgruppe stammen ca. 40 % der Neuerkrankungen. Pubertät und Adoleszenz mit den dazugehörenden Veränderungen hinsichtlich Körpergewicht und Figur stellen besondere Risikozeiten für die Entstehung dieser Essstörung dar. Mit zunehmendem Alter nimmt die Inzidenz der Anorexia Nervosa hingegen kontinuierlich ab. Die Anorexia Nervosa tritt vorwiegend bei Frauen auf, wobei auch Männer von der Essstörung betroffen sein können. Das Geschlechtsverhältnis Frauen: Männer beträgt 10:1 (Hoek/van Hoeken 2003). Gehäuft tritt die Anorexia Nervosa in Bevölkerungsschichten mit einem höheren sozioökonomischen Status auf.
Welchen Verlauf nimmt die Anorexia Nervosa und wie ist die Prognose?
Eine Übersichtsarbeit von Steinhausen (2002) beschreibt folgenden Verlauf des Störungsbildes der Anorexia Nervosa:
• Bei weniger als der Hälfte remittierte (↑ Remission) die Symptomatik.
• Bei einem Drittel verbesserte sich die Symptomatik.
• Circa 20 % der Betroffenen wiesen eine Chronifizierung der Essstörung auf.
• Durchschnittlich 5 % der Betroffenen starben aufgrund der Essstörung.
Eine Verlaufsuntersuchung von Fichter et al. (2006) zeigt, dass zwölf Jahre nach Behandlungsabschluss
• rund 52 % der Patientinnen unter keiner Essstörung mehr litten,
• knapp 20 % noch die Kriterien einer Anorexia Nervosa erfüllten,
• 9,5 % die Symptomatik einer Bulimia Nervosa (Kapitel 2) aufwiesen,
• knapp 19 % die Kriterien einer „nicht näher bezeichneten Essstörung“ erfüllten (Kapitel 4),
• 7,7 % der Betroffenen im Verlauf der zwölf Jahre in Folge der Essstörung verstorben waren.
Diese Befunde zeigen, dass längerfristig noch circa die Hälfte der Betroffenen nach wie vor unter einer Essstörung leiden.
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Zu der Frage, welche Merkmale den langfristigen Verlauf der Anorexia Nervosa ungünstig beeinflussen, liegen uneinheitliche Ergebnisse vor: In einigen Studien wurden beispielsweise die Schwere der Erkrankung, das Ausmaß des Gewichtsverlusts, sowie ein frühes Erstmanifestationsalter als negative ↑ Prädiktoren ausgemacht, andere Studien hingegen widerlegten diese Befunde. Die bereits erwähnte neuere Längsschnittuntersuchung über zwölf Jahre hinweg von Fichter et al. 2006) zeigt, dass ↑ Impulsivität, Schwere und Chronifizierung der Erkrankungssymptome einen negativen Verlauf der Essstörung vorhersagen. Zusammenfassend kann der Verlauf der Anorexia Nervosa mit zwei Tendenzen beschrieben werden:
Kernaussage
Ein Teil der Betroffenen remittiert, der andere Teil chronifiziert – teilweise schwer – oder stirbt sogar. Diese Befunde zeigen deutlich, dass die Anorexia Nervosa eine schwerwiegende Erkrankung darstellt, an deren Folgen zwischen 5 und 10 % der Betroffenen sterben.
Welches sind die häufigsten komorbiden Störungen der Anorexia Nervosa?
Komorbide (↑ Komorbidität) psychische Störungen bei der Anorexia Nervosa sind häufig, d.h., im Vergleich zur Normalbevölkerung treten die folgenden ↑ Achse-I und II-Störungen in der ↑ klinischen Stichprobe gehäuft auf (Fichter et al. 2006).
• ↑ affektive Störungen (↑ Punktprävalenz 21 %, ↑ Lebenszeitprävalenz 64 %), wobei es sich meist um eine ↑ Major Depression handelt (Punktprävalenz 17 %, Lebenszeitprävalenz 55 %)
• Angststörungen (Punktprävalenz 29 %, Lebenszeitprävalenz 47 %)
• ↑ Zwangsstörungen (Punktprävalenz 13 %, Lebenszeitprävalenz 18 %)
• Störungen im Zusammenhang mit Substanzkonsum wie beispielsweise Alkohol, Medikamente (Punktprävalenz 9 %, Lebenszeitprävalenz 30 %)
• ↑ Borderline-Persönlichkeitsstörung 9 %
Neben den komorbiden psychischen Störungen treten bei der Anorexia Nervosa auch somatische Komplikationen als Folgeschäden der Essstörung|15◄ ►16|
auf. Viele dieser körperlichen Konsequenzen und Symptome der Anorexia Nervosa sind durch das Hungern und das Untergewicht bedingt. Außer ↑ Amenorrhoe treten oft Verstopfung, Bauchschmerzen, Kälteunverträglichkeit, Lethargie und übermäßige Energie auf. Aufgrund des Untergewichts ist der Körper gezwungen, alle verfügbaren Energiereserven zu mobilisieren und die für das Überleben nicht entscheidenden Aktivitäten zu reduzieren. Der Energieverbrauch im Körper wird reduziert durch:
• Senkung der Hauttemperatur (Hypothermie)
• Hauttrockenheit
• Verlangsamung der Herzfrequenz (Bradykardie)
• Senkung des Muskeltonus (Hypotension)
Einige Betroffene entwickeln längerfristig Lanugo, eine feine, flaumige Körperbehaarung sowie periphere Ödeme (Schwellungen an den Händen und Füssen).
Insgesamt kann die anorektisch bedingte Mangelernährung und das teilweise mit der Essstörung einhergehende ↑ „Purging“-Verhalten bedeutsame medizinische Krankheiten bedingen. Zu diesen zählen Veränderungen des Blutbildes, Verschlechterung der Nierenfunktion, Störungen der Herz-Kreislauf-Funktionen (sehr niedriger Blutdruck, Arrhythmien), Osteoporose (Verminderung der Knochengrundsubstanz) und Zahnschäden.
Klassifikation und Diagnostik
Wie wird die Anorexia Nervosa klassifiziert?
Sowohl ↑ DSM-IV-TR als auch ↑ ICD-10 definieren als Leitsymptom der Anorexia Nervosa die Weigerung der Betroffenen, ein minimales medizinisch normales Körpergewicht zu halten bzw. in der ↑ Adoleszenz zu erreichen. Körperliche Ursachen für den Gewichtsverlust müssen ausgeschlossen sein. Im ICD-10 wird Untergewicht über einen ↑ BMI kleiner oder gleich 17,5 definiert; das ↑ DSM-IV-TR geht hingegen davon aus, dass das Körpergewicht weniger als 85 % des aufgrund von Alter und Körpergröße zu erwartenden Gewichts ausmacht. Ein weiteres klassifizierendes Merkmal der Anorexia Nervosa ist die ausgeprägte |16◄ ►17|
Angst vor einer Gewichtszunahme sowie die verzerrte Wahrnehmung der eigenen Figur und des Körpergewichts, die das Ausmaß einer ↑ Körperschemastörung einnimmt.
Da das DSM-IV-TR das in der Psychotherapieforschung und psychologischen Diagnostik am häufigsten verwendete Klassifikationssystem ist, werden hier die DSM-Diagnosekriterien der Anorexia Nervosa aufgeführt. Das DSM-IV-TR verweist bei jeder Diagnose darauf, wo die entsprechenden Kriterien im ICD-10 zu finden sind.
Diagnosekriterien der Anorexia Nervosa nach DSM-IV-TR (ICD-10: F50.0)
A. Weigerung, das Minimum des für Alter und Körpergröße normalen Körpergewichts zu halten (z. B. der Gewichtsverlust führt dauerhaft zu einem Körpergewicht von weniger als 85 % des zu erwartenden Gewichts; oder das Ausbleiben einer während der Wachstumsperiode zu erwartenden Gewichtszunahme führt zu einem Körpergewicht von weniger als 85 % des zu erwartenden Gewichts).
B. Ausgeprägte Ängste vor einer Gewichtszunahme oder davor, dick zu werden, trotz bestehenden Untergewichts.
C. Störung in der Wahrnehmung der eigenen Figur und des Körpergewichts, übertriebener Einfluss des Körpergewichts oder der Figur auf die Selbstbewertung, oder Leugnen des Schweregrades des gegenwärtigen geringen Körpergewichts.
D. Bei postmenarchalen Frauen das Vorliegen einer Amenorrhoe, d.h. das Ausbleiben von mindestens drei aufeinanderfolgenden Menstruationszyklen (Amenorrhoe wird auch dann angenommen, wenn bei einer Frau die Periode nur nach Verabreichung von Hormonen, z.B. Östrogen, eintritt).
Bestimme den Typus:
Restriktiver Typus: Während der aktuellen Episode der Anorexia Nervosa hat die Person keine regelmässigen Essanfälle gehabt oder hat kein „Purging“-Verhalten (das heißt selbstinduziertes Erbrechen oder Missbrauch von Laxantien, Diuretika oder Klistieren) gezeigt. „Binge-Eating/Purging“-Typus: Während der aktuellen Episode der Anorexia Nervosa hat die Person regelmäßig Essanfälle gehabt |17◄ ►18|
und hat Purgingverhalten (das heißt selbstinduziertes Erbrechen oder Missbrauch von Laxantien, Diuretika oder Klistieren) gezeigt.
E. Die „Essanfälle“ gehen nicht mit dem regelmäßigen Einsatz von unangemessenen kompensatorischen Verhaltensweisen einher (z. B. „Purging-Verhalten“, fasten oder exzessive körperliche Betätigung) und sie treten nicht ausschließlich im Verlauf einer Anorexia Nervosa oder Bulimia Nervosa auf.
Bei der Bulimia Nervosa (Kapitel 2) leiden die Betroffenen ebenfalls an wiederholten Essanfällen und zeigen unangemessene Maßnahmen, um ihr Gewicht zu halten. Im Unterschied zu Personen mit Anorexia Nervosa des „Binge-Eating / Purging“-Typus sind jene mit Bulimia Nervosa in der Lage, ihr Körpergewicht um oder über einem Minimum des medizinisch normalen Körpergewichts zu halten.
Worauf ist bei der Anorexia Nervosa differentialdiagonstisch zu achten?
Bei der ↑ Differentialdiagnose der Anorexia Nervosa sollten andere mögliche Ursachen für einen erheblichen Gewichtsverlust in Betracht gezogen werden. Dabei sind sowohl somatische als auch andere psychische Erkrankungen zu berücksichtigen. Für einen Gewichtsverlust oder eine Veränderung des Essverhaltens und des Appetits mögliche körperliche Krankheitsfaktoren (beispielsweise Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes, chronische Infektionen, Tumorerkrankungen) müssen mittels ärztlicher medizinischer Untersuchung differentialdiagnostisch ausgeschlossen werden.
Einzelne Symptome der Anorexia Nervosa können auch bei anderen psychischen Störungen auftreten. So kann es beispielsweise bei einer ↑ Major Depression ebenfalls zu erheblichem Gewichtsverlust kommen, bei einer Zwangsstörung können die Betroffenen unter nahrungsbezogenen Zwangsgedanken und -handlungen leiden (z.B. Nahrungszubereitung nur unter ritualisierten Bedingungen). Natürlich ist der „Binge-Eating/Purging“-Typus bei der Anorexia Nervosa von der Bulimia Nervosa (Kapitel 2) abzugrenzen. Weitere psychische Differentialdiagnosen sind: soziale Phobie (ausgeprägte und anhaltende Angst vor sozialen und Leistungssituationen), körperdysmorphe Störung (übermäßige Beschäftigung mit einem eingebildeten oder überbewerteten|18◄ ►19|
Mangel bzw. Entstellung des körperlichen Aussehens), Schizophrenie (unter dem Begriff wird eine psychopathologisch gemischte Gruppe von Störungen zusammengefasst, die mit Veränderungen des Denkens, der Sprache, des Verhaltens, mit Realitätsverlust und Wahnvorstellungen einhergehen) sowie anorektische Reaktion im Rahmen von Anpassungsstörungen (Entwicklung von emotionalen oder verhaltensmäßigen Symptomen als Reaktion auf einen identifizierbaren Belastungsfaktor).
Die spezifischen Merkmale der Anorexia Nervosa, nämlich intensiver Wunsch nach Gewichtsabnahme, gestörtes Körperbild und übermäßige Bedeutung von Figur und Gewicht für die Selbstbewertung, erleichtert die Differentialdiagnose zu anderen Erkrankungen.
Kernaussage
Bei somatischen oder anderen psychischen Störungen wird meist kein übermäßiger Gewichtsverlust angestrebt, und es besteht keine intensive Angst vor einer Gewichtszunahme. Oft handelt es sich eher um einen ungewollten Gewichtsverlust, beispielsweise aufgrund von Appetitlosigkeit, Übelkeit oder starken Schmerzen.
Wie lässt sich eine Anorexia Nervosa diagnostizieren?
Die Diagnose der Anorexia Nervosa sowie spezifische Aspekte des gestörten Essverhaltens können mittels strukturierter Interviews oder Selbstbeurteilungsfragebogen erhoben werden (im Folgenden werden nur Instrumente genannt, die in deutscher Sprache erhältlich sind). Zur Diagnose der Anorexia Nervosa sowie möglicher komorbider Störungen können die beiden Standardverfahren unter den strukturierten diagnostischen Interviews, das Diagnostische Interview für psychische Störungen (DIPS; Schneider / Margraf 2006) oder das Strukturierte Klinische Interview für DSM-IV (SKID-I und -II; Wittchen et al. 1997) durchgeführt werden.
Die spezifische Psychopathologie der Anorexia kann mit dem Eating Disorder Examination (EDE; deutsche Version: Hilbert et al. 2004; englische Version: Fairburn / Cooper 1993) erfasst werden. Das EDE ist ebenfalls ein strukturiertes Interview, das auf der Basis der DSM-IV-Diagnosekriterien die spezielle Psychopathologie von Essstörungen sowie die Häufigkeit der wichtigsten Verhaltensaspekte im Zusammenhang|19◄ ►20|
mit Essanfällen erfasst. Das Strukturierte Inventar für Anorektische und Bulimische Essstörungen zur Expertenbeurteilung (SIAB-EX; Fichter / Quadflieg 1999) erfasst nebst essstörungsspezifischen auch allgemeine psychopathologische Merkmale.
Zu den gebräuchlichsten und mit hinreichender psychometrischer Güte belegten Selbstbeurteilungsfragebogen im Bereich der Anorexia Nervosa gehören:
• Eating Disorder Examination-Questionnaire (EDE-Q; deutsche Version: Hilbert et al. 2004; englische Version: Fairburn/Beglin 1994). Die Fragebogenversion des EDE erfasst analog zu diesem die spezifischen Merkmale der Essstörungspsychopathologie.
• Anorexia-Nervosa-Inventar zur Selbstbeurteilung (ANIS; Fichter/ Keeser 1980)
• Strukturiertes Inventar für Anorektische und Bulimische Essstörungen zur Selbsteinschätzung (SIAB-S; Fichter / Quadflieg 1999). Dies ist die Fragebogenversion des Inventars zur Expertenbeurteilung SIAB-EX.
Zur Erfassung der nicht-essstörungsspezifischen Psychopathologie können je nach ↑ Komorbidität, auch bei anderen psychischen Störungen verwendete Instrumente eingesetzt werden, wie beispielsweise das Beck-Depressions-Inventar (Hautzinger et al. 1995). Empfehlungen zur Fragebogendiagnostik anderer psychischer Bereiche sind beispielsweise in Schneider und Margraf (2000) zu finden.
Literatur
Tuschen-Caffier, Pook, Hilbert (2005): Diagnostik von Essstörungen und Adipositas.
Behandlung
Behandlungsmöglichkeiten der Anorexia Nervosa –was ist wirksam?
Für die Anorexia Nervosa liegen sehr wenige kontrollierte Studien zur längerfristigen Wirksamkeit psychologischer Behandlungsansätze vor. Gründe für die geringe Anzahl kontrollierter Wirksamkeitsuntersuchungen sind u. a. die niedrige ↑ Prävalenz der Störung sowie die lange Behandlungsdauer bei chronifiziertem Störungsbild und die hohen Abbruchquoten innerhalb der Untersuchungen.
Kontrollierte Studien im Bereich der Anorexia Nervosa liegen für die ↑ Familientherapie (u. a. Lock et al. 2005) und die ↑ Kognitive Verhaltenstherapie (u. a. Ball / Mitchell 2004) vor. Die Wirksamkeit der Behandlungsansätze ist belegt, jedoch können auf der Basis der geringen Anzahl kontrollierter Studien bis zum aktuellen Zeitpunkt noch keine abschließenden Aussagen über die längerfristige Wirksamkeit – damit ist eine ↑ klinisch bedeutsame Gewichtszunahme sowie Besserung der Essstörungspsychopathologie gemeint – dieser psychologischen Behandlungsformen gemacht werden. Für die Familientherapie muss einschränkend auch festgehalten werden, dass ihre Wirksamkeit für Adoleszente (↑ Adoleszenz), jedoch nicht für erwachsene Betroffene belegt ist. Ein interessanter Befund stammt aus einer kontrollierten ↑ randomisierten Untersuchung, in welcher zwei spezialisierte Psychotherapien, die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) und ↑ Interpersonale Therapie (IPT), mit einer nichtspezifischen Behandlung („treatment as usual“, keine störungsspezifische Behandlung, sondern stützende Gespräche, Clinical Management) bei erwachsenen Anorexia-Nervosa-Patienten verglichen wurden. Die beiden spezifischen psychotherapeutischen Behandlungsansätze erwiesen sich nicht als wirksamer im Vergleich zur unspezifischen Behandlung. Dieser Befund ist noch zu replizieren, weist aber auf eine mögliche Alternative zur Behandlung der Anorexia Nervosa hin (McIntosh et al. 2005). Auch lässt die gegenwärtige Beweislage keine ausreichend ↑ evidenzbasierten Hinweise zur Wahl des Behandlungssettings (stationär, teilstationär, ambulant) zu (Fairburn 2005). Als Anlässe zur stationären Behandlung gelten jedoch allgemein das Vorliegen ausgeprägter somatischer Folgeerkrankungen der Essstörung oder suizidaler Risiken; primäres Behandlungsziel ist die Gewichtszunahme. Zur Wirksamkeit von Selbsthilfeprogrammen lassen sich aktuell ebenfalls noch keine gültigen Aussagen machen, da keine kontrollierten Überprüfungen dazu vorliegen.
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Die nachfolgende Übersicht fasst die wesentlichen Punkte der ↑ NICE guidelines zur Behandlung der Anorexia Nervosa zusammen. Aufgrund der aktuell noch schlechten Befundlage basieren die Behandlungsrichtlinien vorwiegend auf Expertenmeinungen und nur zu einem geringen Teil auf kontrollierten ↑ klinischen Studien.
Behandlungsrichtlinien der Anorexia Nervosa in Anlehnung an die NICE guidelines
Psychologische Behandlung der Anorexia Nervosa
• Allgemein: Die psychologische Behandlung der Essstörung sollte durch regelmäßige medizinische Kontrollen von Gewicht und somatischen Risiken begleitet werden.
• Als Behandlungsansätze sind in Betracht zu ziehen: kognitiv-analytische Verfahren, Kognitive Verhaltenstherapie, Interpersonale Therapie, Familientherapie und analytische Fokaltherapie.
• Bei Kindern und Adoleszenten sollte eine Familientherapie – fokussiert auf die Essstörung – angeboten werden.
• Falls möglich, sollten die Betroffenen die spezifische Therapierichtung wählen können.
• Ziele der psychologischen Behandlung sind: Reduktion der psychischen Risiken, Gewichtszunahme und gesundes Essen, Behandlung der essstörungsspezifischen Psychopathologie und anderer assoziierter psychischer Faktoren.
Somatische Mitbehandlung der Anorexia Nervosa
• Monitoring der somatischen Risiken
• Kontinuierliche Gewichtszunahme von ca. 0,5–1 kg pro Woche (stationär) und 0,5 kg pro Woche (ambulant)
• Parenterale (Ernährung unter Umgehung des Magen-DarmTraktes) nur bei schweren gastrointestinalen Störungen; gegen den Willen der Betroffenen nur als letzte Möglichkeit und nach Klärung der rechtlichen Situation
Literatur
Ein aktueller Überblick über kontrollierte randomisierte Untersuchungen zur Behandlung der Anorexia Nervosa findet sich bei Bulik et al. (2007).
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Internet
Differenzierte Empfehlungen zur ambulanten und stationären Behandlung der Anorexia Nervosa sowie die vollständigen ↑ NICE guidelines sind unter
http://www.nice.org.uk/ zu finden.
Lässt sich die Anorexia Nervosa auch pharmakologisch effektiv behandeln?
Bisher wurde in kontrollierten Studien die Wirksamkeit von Antidepressiva aus der Klasse der ↑ trizyklischen Antidepressiva und der ↑ Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) überprüft. Obwohl die Behandlung der Anorexia Nervosa mittels Antidepressiva relativ verbreitet ist, fehlt der Wirksamkeitsnachweis für diese Anwendung (Wilson et al. 2007). Des Weiteren liegen Untersuchungen zur medikamentösen Behandlung mittels Hormonen (Testosteron, Östrogen, Progesteron) sowie Ernährungssupplementen vor. Keine der Medikationen bewirkt unter alleiniger Anwendung eine signifikante Gewichtszunahme oder Verbesserung der Essstörungspsychopathologie (Bulik et al. 2007). Die medikamentöse antidepressive Behandlung führte zwar zu einer Verbesserung der Stimmung, bedingte jedoch keine Gewichtszunahme. Zur Überprüfung der Wirksamkeit einer Kombination psychotherapeutischer und medikamentöser Behandlung liegen bislang keine Untersuchungen mit ausreichender methodischer Qualität vor. Als ausschlaggebendes Kriterium für die psychopharmakologische Behandlung der Anorexia Nervosa gilt das Vorliegen komorbider ↑ affektiver Störungen.
Kernaussage
Die Therapieforschung zur Anorexia Nervosa ist geprägt durch einen Mangel an kontrollierten Studien; bestehende Untersuchungen ergeben teilweise heterogene Ergebnisse, basieren auf kleinen Stichproben und erzielen im Gesamten lediglich moderate Effekte. Die besten Behandlungsergebnisse hinsichtlich einer Gewichtszunahme und Verbesserung der Essstörungspsychopathologie konnten bislang bei adoleszenten Betroffenen mit kurzer Erkrankungsdauer erreicht werden. Chronifizierte Ausprägungen der Essstörung weisen einen schlechten Behandlungserfolg auf.
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Welches sind die Behandlungselemente in der Therapie der Anorexia Nervosa?
Weiter oben wurde bereits erläutert, dass die KVT und Familientherapie bisher in kontrollierten Studien hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zur Behandlung der Anorexia Nervosa überprüft wurden. Daher werden nachfolgend kurz die Kernelemente dieser Methoden sowie einige Standardelemente der Anorexia-Nervosa-Therapie beschrieben.
Literatur
Eine ausführlichere Beschreibung der Therapieinhalte findet sich beispielsweise in Joachim et Al. (2004b).
Aufbau von Behandlungsmotivation
Für viele Betroffene stellt das gestörte Essverhalten, das mit einem „erstrebenswerten“ niedrigen Körpergewicht assoziiert ist, per se zunächst oft keine Schwierigkeit dar, d.h., es besteht geringer oder kein Leidensdruck. Somit ist in der Phase des Behandlungsbeginns der Aufbau von Behandlungsmotivation ein zentraler Bestandteil. Elemente des Motivationsaufbaus sind:
• ↑ Psychoedukation über die Ätiologiefaktoren der Essstörung
• Information über Folgeerkrankungen der Essstörung
• Erarbeiten eines individuellen Bedingungs- und Behandlungsmodells
Gewichtszunahme und -stabilisierung
Wöchentliche Gewichtssteigerung mittels Gewichtsverträgen; dabei wird eine vorgeschriebene Energiezufuhr innerhalb festgelegter Mahlzeiten eingehalten.
Normalisierung des gestörten Essverhaltens
Mittels Essprotokollen wird das aktuelle Ess- und Restriktionsverhalten beobachtet und festgehalten. Sukzessive werden subjektive Nahrungsmittelverbote abgebaut und mögliche kompensatorische Verhaltensweisen (Hungern / Fasten, Erbrechen, Anwendung von ↑ Laxantien und ↑ Diuretika oder exzessive körperliche Aktivität) verhindert. Dies bedeutet|26◄ ►27|
die Anwendung der Prinzipien der ↑ Reizkonfrontation und Reaktionsverhinderung. Ziel ist das Etablieren eines durch Regelmäßigkeit gekennzeichneten Essverhaltens.
Bearbeitung zugrundeliegender/aufrechterhaltender Faktoren
Problembereiche, welche die Anorexia Nervosa aufrechterhalten, werden analysiert und bearbeitet. Dazu dienen zum einen Teil kognitive Techniken (↑ Kognition), zum anderen können auch spezifische Interventionen zum Einsatz kommen, beispielsweise: Problemlösetraining, soziales Kompetenztraining, Einbezug von Familie und / oder Partner.
Bearbeitung der Körperwahrnehmung und -akzeptanz
Mittels konfrontativer Körperübungen (Auseinandersetzung per Spiegel oder Video mit dem eigenen Körper) und kognitiver Techniken werden die verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers sowie die ausgeprägte Unzufriedenheit mit diesem verändert, und eine Sensibilisierung für positive Aspekte des eigenen Körpers wird gefördert.
Literatur
Für das therapeutische Vorgehen bei der Bearbeitung der Körperbildstörung finden sich bei Vocks und Legenbauer (2005) detaillierte Angaben.
Innerhalb der Familientherapie existiert eine spezialisierte Methode, die Maudsley-Methode, zur Behandlung der Anorexia Nervosa bei Heranwachsenden (Russel et al. 1987). Die Wirksamkeit des Behandlungsansatzes ist in kontrollierten Studien von den Entwicklern der Methode untersucht worden (z.B. Lock et al. 2005), die Überprüfung durch andere Forschungsgruppen steht noch aus.
Literatur
Eine Übersicht über diesen spezifischen familientherapeutischen Behandlungsansatz und die Abgrenzung zu anderen Familientherapien ist bei Dare und Eisler (1997) nachzulesen.
Das Ätiologiemodell des Maudsley-Modells beruht mitunter darauf, dass die Symptome der Anorexia Nervosa zum einen sowohl die Familie |27◄ ►28|
als auch die direkt betroffene Person beeinflussen und gleichzeitig sowohl Familie als auch direkt Betroffene wiederum Einfluss auf die Symptome nehmen. Der Schwerpunkt des Behandlungsansatzes liegt auf dem interaktionellen System der Familie, wobei kognitive und ↑ behaviorale Symptome im Mittelpunkt stehen. Nachfolgend werden kurz die drei Phasen der Therapie beschrieben. Die Therapiesitzungen finden typischerweise sowohl im Einzelsetting mit der unter Anorexia Nervosa leidenden Person als auch im Familiensetting statt, wobei der Schwerpunkt der Behandlung auf dem Letzteren liegt.
Phase 1
Ziel ist es, die Familie und die unter Anorexia Nervosa leidende Person zur aktiven Mitarbeit hinsichtlich einer Steigerung des Essens und einer Gewichtszunahme zu gewinnen. Der Therapeut wirkt unterstützend beispielsweise hinsichtlich der Anliegen der Beteiligten und gibt Rückmeldung zu beobachtbarem Verhalten. Die vermehrte Nahrungszufuhr wird jedoch durch die Eltern getragen bzw. von diesen idealerweise zu Hause in der gewohnten Umgebung zusammen mit der direkt Betroffenen umgesetzt.
Phase 2
Sobald die stetige Gewichtszunahme etabliert ist, fokussiert die Behandlung auf weitere kognitive und behaviorale Merkmale der Anorexia Nervosa. Soziale Situationen, wie beispielsweise außerhalb der Familie mit anderen essen, Teilnahme an sozialen Aktivitäten, werden thematisiert und eingeübt.
Phase 3
Die dritte Phase beginnt, wenn ein stabiles Gewicht und Essverhalten erreicht sind. Themen, die nicht direkt mit Essen und Gewicht in Zusammenhang stehen, jedoch ebenfalls Einfluss auf die Familie haben, werden nun zur Sprache gebracht. Dazu gehören beispielsweise typische Entwicklungsaufgaben wie das Etablieren von mehr Autonomie oder Unabhängigkeit der Heranwachsenden, Anpassung von familienspezifischen Grenzen (beispielsweise Anpassung von Regeln, die das Familienleben strukturieren)
Literatur
Details zur Maudsley-Methode sind bei Lock et al. (2001) nachzulesen.
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